Sophie Scholl
Nachdenklich, fast traurig, schaut sie vor sich hin. Ihr Gesicht ist blass, sie hat dunkle Ringe unter den Augen. Das hohe Fenster des Lichthofes der Münchener Universität bildet den oberen Teil ihres Heiligenscheins. Ihr Heiligenschein wird gebildet durch die Flugblätter, die von der Balustrade im zweiten Stock der Universität nach unten flattern. Diese träge schwebenden Flugblätter sind das ikonische Bild des Widerstandes der Gruppe "Die Weiße Rose" geworden.
Sophie Scholl studierte ab 1942 an dieser Universität. Sie hatte in den Nächten zuvor geholfen die Matrizen zu tippen und zu vervielfältigen, sie hatte die Flugblätter in einem Koffer zur Universität getragen und an verschiedene Stellen ausgelegt. Den Rest der Flugblätter, in denen zu Widerstand gegen den sinnlosen Krieg Hitlers aufgerufen wurde, hat sie schließlich nach oben gebracht und vom Rand der Balustrade gestoßen. Es sind diese scheinbar schlichten Taten gewesen, die Sophie Scholl zur Ikone des Widerstands gemacht haben.
Am 22. Februar 1943 wurde sie, erst 21 Jahre alt, ermordet. Der Prozess dauerte nur vier Tage. Als sie, ihr Bruder Hans und dessen Freund Christoph Probst gefasst wurden, war auf höchster Ebene nach den Mitgliedern der "Weißen Rose" gefahndet worden. Schon fünf Flugblätter hatten die Studierenden geschrieben und vervielfältigt. Kriminalistische Experten hatten herausgefunden, dass es wohl Studenten sein müssten, die die Sprache Luthers kannten, eine Remington-Schreibmaschine besaßen und irgendwo in München wohnten. Eine Großrazzia hatte aber nichts gebracht.
Meine Ikone von Sophie Scholl ist nach einem Foto gemalt, das am 23. Juli 1942 am Münchener Ostbahnhof aufgenommen wurde. Sophie begleitete mit Christoph Probst ihren Bruder Hans, Alexander Schmorell und zwei weitere Freunde bei deren Abreise nach Russland. Die jungen Münchener Medizinstudenten sollten als Sanitätshelfer an der Ostfront dienen. Die schrecklichen Erfahrungen, die sie an der Front gemacht hatten, verstärkten ihre Entschlossenheit zum Widerstand.
Im fünften Flugblatt vom Januar 1943 klagten sie den Wahnsinn des Krieges an. Die Gewissenlosigkeit Hitlers hatte schon abertausenden jungen Männern das Leben gekostet.
" A u f r u f a n a l l e D e u t s c h e!
Der Krieg geht seinem sicheren Ende entgegen. Wie im Jahre 1918 versucht die deutsche Regierung alle Aufmerksamkeit auf die wachsende U-Bootgefahr zu lenken, während im Osten die Armeen unaufhörlich zurückströmen, im Westen die Invasion erwartet wird. […] Mit mathematischer Sicherheit führt Hitler das deutsche Volk in den Abgrund. Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, nur noch verlängern! Seine und seiner Helfer Schuld hat jedes Mass unendlich überschritten. Die gerechte Strafe rückt näher und näher!"1
Die „Weiße Rose“ nannte Hitlers Kriegsführung „preußischen Militarismus“ und dieser sollte nun endlich gestoppt werden.
Das sechste Flugblatt im Februar 1943 schlug in die gleiche Kerbe:
"K o m m i l i t o n i n n e n! K o m m i l i t o n e n!
Erschüttert steht unser Volk vor dem Untergang der Männer von Stalingrad. Dreihundertdreissigtausend deutsche Männer hat die geniale Strategie des Weltkriegsgefreiten sinn- und verantwortungslos in Tod und Verderben gehetzt. […] Wollen wir weiter einem Dilettanten das Schicksal unserer Armeen anvertrauen? Wollen wir den niedrigen Machtinstinkten einer Parteiclique den Rest der deutschen Jugend opfern? […] Im Namen der ganzen deutschen Jugend fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut des Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen hat."
Die "Weiße Rose" rief schließlich dazu auf, ein "neues geistiges Europa" zu errichten. Von diesem Flugblatt wurden über 1500 Exemplare heimlich in der Wohnung von Hans und Sophie gedruckt und wiederum aus mehreren Städten in Deutschland und Österreich per Post verschickt, um den Eindruck zu erwecken, dass es sich um eine große, weit verzweigte Widerstandsgruppe handelte. Auch an die Eingänge der Universität wurden Exemplare gelegt und auf den Rand der Balustrade des großen überdachten Lichthofes, um den die Vorlesungssäle gruppiert waren. Dann stieß Sophie einen großen Stapel um und die Blätter flatterten nach unten…
Mehr zu Sophie Scholl und sechs anderen widerständigen Christ:innen in:
Harmjan Dam, Ikonen des Christlichen Widerstands.
Erhältlich für € 10,00 über: [email protected]