Auferstehung

In der Grabkapelle der Chora-Kirche in Istanbul, einer Kirche aus dem 11. Jahrhundert, findet man an der Wölbung hinter dem Altar ein Fresko. Es zeigt die Auferstehung Christi. Auch als die Kirche im 16. Jahrhundert in eine Moschee umgewandelt wurde, blieb dieses Fresko bewahrt, weil es eine der schönsten Darstellung der Anastasis ist. Meine Ikone, die auch "Christi Höllenfahrt" genannt wird, hat große Ähnlichkeiten mit diesem Fresco und mit einer russischen Interpretation aus dem 16. Jahrhundert. Die Darstellung geht auf einen Hymnus aus der orthodoxen Osterliturgie zurück:

„Christ ist von den Toten erstanden, er hat den Tod durch den Tod niedergetreten und denen in den Gräbern Leben gewährt“.

Ich hatte diese Ikone schon vor langer Zeit gemalt. Sie steht auch in meinem Büchlein "Ikonen neu sehen", aber die Farbe war abgeblättert und die Gesichter und die blaue Mandorla auf dem Hintergrund haben mir gar nicht mehr gefallen.

Jetzt ist sie neu und wir können die Gesichter lesen. Wir können sogar ahnen, was die vielen Personen auf dieser Ikone über die Auferstehung denken. Alle haben ihre eigene Auffassung zu der Frage, was eigentlich die "Auferstehungserfahrung" ist.

Schauen wir genauer hin.

-       Links vorne kniet Adam. Sein Name bedeutet Mensch. Er war bei der Schöpfung der Erste, der aus der Erde gezogen wurde. Jetzt wird er als Erster aus der Unterwelt gezogen. Erstaunt muss er bei der Schöpfung und bei dieser Neuschöpfung um sich geschaut haben. Für Adam heißt Auferstehung: Gott ist die Quelle des Lebens.

-       Rechts vorne kniet Eva auf dem Rand ihres Grabes. Ihre Hände sind in Ehrfurcht umhüllt. Ihr Name kommt vom hebräischen Wort „Chawwah“. Das bedeutet „die Leben Schenkende“ oder die „Mutter der Lebendigen". Adam und Eva mussten das Paradies verlassen, weg von der Quelle. Aber dennoch war es mit dem Leben nicht zu Ende. Gott hat beiden die Möglichkeit gegeben, dass neues Leben wachsen kann. Jedes Kind, das geboren wird, ist ein Zeichen für Auferstehung. Für Eva heißt Auferstehung: Das Leben geht weiter. Auch wenn die Welt nicht paradiesisch ist, hat der Tod nicht das letzte Wort.

-       Aber nicht nur Adam und Eva werden aus dem Grab gezogen. Stellvertretend für alle Menschen stehen hinter Adam die Könige David und Salomo. David hat auch eine Auferstehungserfahrung:  die Befreiung aus der Höhle, wo er sich vor dem jähzorni­gen König Saul versteckt hatte. Saul war unerwartet vorne in diese Höhle gekommen, aus "Notdurft", wie das altmodisch heißt. David hätte ihn dort töten können, aber hat es nicht getan und nur ein Stück von Sauls Kleid abgeschnitten. Als er dies später Saul zeigte, wurde beiden klar, dass Verfolgung und Tod nichts lösen. Für David heißt Auferstehung, nicht länger verfolgt werden und die Freiheit erlangen. (1 Sam 24, 1-10)

-       Hinter Adam, David und Salomo steht im gelben Gewand Johannes der Täufer. Bei ihm hat Jesus seine Berufung erfahren, als er im Jordan getauft wurde. Aber auch, nachdem Johannes selbst auf grausame Weise ermordet wurde, ging es durch Jesus mit seiner Bewegung weiter. Genauso, wie es nachdem Jesus auf grausame Weise ermordet wurde, weiter ging. Für Johannes heißt Auferstehung: Gott macht immer wieder einen Neuanfang. Sein Reich wird kommen. (Mk 6, 6-29)

-       Hinter Maria stehen drei der Jünger Jesu: Paulus mit der Glatze, Petrus mit dem vollen Bart und Johannes.

- Paulus erzählt von seiner eigenen Auferstehungserfahrung. Wie er die Jesus-Sekte bekämpft hatte. Wie er auf dem Weg von Jerusalem nach Damaskus zu Boden fiel und mit Blindheit geschlagen wurde. Wie ihm erst durch in Damaskus die Augen wieder geöffnet und er einsah, dass dieser Jesus wirklich der wahre Sohn Gottes ist. Seine Erfahrung war so stark, dass ich es immer wieder verkündigt: "Wenn Christus nicht auferstanden ist, ist unser Glaube leer." (Apg. 9; 1 Kor, 15,14)

- Petrus' Auferstehungserfahrung war die Vergebung, die er von Jesus erfahren hat. Drei Mal hat er Jesus verraten, aber drei Mal konnte er es wieder gut machen. (Lk 22, 54-62; Joh 21,15-17)

- Johannes denkt vielleicht an die Geschichte seiner Freunde, als sie nach Jesu Tod nach Emmaus liefen. Jesus war in ihrer Mitte, aber sie erkannten ihn nicht, bis sie zusammen mit Jesus Brot und Wein teilten. Auferstehung heißt: "Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich unter ihnen." (Lk 24, 28-35)

-       Und welche Auferstehungserfahrung macht Jesus selbst? Seine letzten Worte am Kreuz waren laut dem Evangelium nach Markus und Matthäus "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Mk 15, 34). Jesus fühlte sich von Gott verlassen. Die Nähe Gottes war nicht mehr in seinem Leben zu spüren. Die Lebenskraft, die ihn angetrie­ben hatte war verschwunden. Diese Erfahrung muss wirklich die Hölle gewesen sein! Von Gott verlassen!
 Im Lukas-Evangelium stehen aber andere letzte Worte Jesu. Worte, die auf die Auferstehung hinweisen: "Vater, ich gebe mein Leben in deine Hände!" (Lk 23, 46) Jesus vertraut darauf, dass sein Leben in den Händen Gottes liegt. Diese Hände ziehen ihn aus dem Reich des Todes. In dieser Bewegung geschieht das, was wir auf der Ikone sehen: die Türen der Hölle fliegen aus den Angeln, die Nägel und Schrauben stürzen in die Tiefe. Gottes Hände werden Jesu Hände und er greift Adam, und damit alle Menschen, und zieht sie von dem Tod ins Leben.

-       Nun verstehen wir den dreifaltigen Kreis in der Mitte: er steht für Gott und seine alles umfassende Lebenskraft. Die dynamische Bewegung aus dem Tod ins Leben wird umfasst von dieser Fülle. Gottes Liebe ist stärker als der Tod.

 

März 2021